Das Aus für den Weltempfänger

Iran macht den Webhahn dicht- eine Abschottung und ihre Folgen

Nach Weissrussland ist der Iran nun der zweite Staat, der seinen Bürgern den Zugang zum internationalen Web weitesgehend abschaltet. Durch die Blockierung des Protokolls https sind Mailaccounts von über 30 Millionen Bürger betroffen bzw. sind diesen nicht mehr länger zugänglich. Soziale Netzwerke aber auch Medienseiten der BBC oder amerikanischer Outlets sind nun vom Bildschirm verbannt. Die bisherige Kontrolle der internationalen Gateways ging den persischen Behörden nicht weit genug.

Dies ist nur der erste Schritt. Die Schaffung eines „nationalen Internets“ soll zukünftig nicht nur vor Angriffen „feindlicher Staaten“ (wir erinnern uns an Stuxxnet) schützen sondern auch regimekritische Stimmen im Keim ersticken. Dieses politische Konzept von „Big Brother light“ gewinnt zusätzlich an Bedeutung, als dass bis dato Farsi eine der häufigsten Sprachen im Web gewesen ist.

Neben den sozialen Folgen in der Kommunikation folgen der erweiterten Abschottung des Landes ökonomische Konsequenzen nach: Schätzungweise 1,5% des Bruttosozialproduktes des Landes sind direkt in der digitalen Wirtschaft verankert und diversifiziert in unterschiedlichste Sektoren. Der iranische Telekommunikationsmarkt ist mit einem Umsatzwert von ca. 20 Milliarden Dollar der viertgrößte Markt seiner Art in der Region. Rund 1300 Internet Service Provider waren 2010 im Iran im privaten Sektor gemeldet und sind nun direkt in ihrer Existenz bedroht (Quelle: Weltbank). Neben den erfolgreichen Vorstößen am Markt durch iranischstämmige Websitebetreiber, Shopbesitzer und Dienstleistungsanbieter im Online-Sektor wuchs die Diversifikationsgrad in der digitalen Industrie in den letzten Jahren rapide: Professionell gepflegte Blogs für Ayatollahs sind längst Bestandteil der iranisch-nationalen Webkultur, genauso prägen Chatforen und Profilplattformen für (heiratswillige) Muslime das „lokale“ Netz.

Innovationsbremse Kommunikationsfilter?

Neben den alltäglichen Hindernissen in der digitalen Informationsbeschaffung kommt dieser Umbruch nun mit weiteren Hemmnissen für eine dringend benötigte wirtschafltiche Trendwende zu Tage. Die Einengung des Suchspektrums online wirkt sich fatal auf das Innovationspotential nicht nur der Telekommunikationswirtschaft offline aus. Es braucht kein zweites facebook im Iran, allerdings lässt sich die personalisierte vernetzte Kommunikationsform in Echtzeit nicht mehr aufhalten. Doch welche Massnahmen sieht die aktuell umgesetzte Doktrin der Schüler von Ghom darüber hinaus vor? Buchen iranische Werbetreibende demnächst helale Keywords bei den suchmaschinenbetreibenden Basiji-Agenturen im nationalen Internet? Eine virtuelle Authenzität zu erzielen kann im Zuge der Verbote darüber hinaus noch attraktiver für junge Iraner werden. Wird die Propaganda-PR nun mit einem Richtlinienkatalog „zurückschlagen“?

Hoffnungsschimmer in Absurdistan

Interessant ist zu beobachten, dass zwar einerseits versucht wird die absolute Kontrolle über die Medien auch im web behördlich durchzusetzen. Allerdings wird der Bedarf für ein WWW als relevante Kommunikationsform von offizieller Seite nicht (länger) geleugnet. Mittlerweile nutzen politische und industrielle Eliten im Iran längst das Potential insbesondere im Bereich Social Media für ihre Zwecke. Und eine Idee ist stark insbesondere dann, wenn sie sich bewährt hat. Twitter wird zwar nicht länger mit iranischem Bildmaterial gespeist. Allerdings ist das Konzept der hochfrequenten Kommunikation in 140 Zeichen inklusive Bildinformaionen nicht aufzuhalten.

Denn im Gegensatz zum Weltempfänger zu Zeiten des zweiten Weltkrieges sind die digitalen Natives selbst Berichterstattende und nicht mehr in erster Linie „Zuhörer“. Und dieses mediale Selbstverständnis wird sich kaum durch einen Nationalisierung des Webspaces aufhalten lassen, weder im Iran noch anderswo.

#Flatrate_zur_Freiheit

Derzeit scheinen die Regime in Nordafrika und dem Nahen Osten im Wochentempo zu fallen. Diese rasante Revolutionswelle in der MENA-Region kommt natürlich nicht von ungefähr. Das Erstaunliche allerdings ist, dass trotz anderslautender Analysen sogenannter Nahostexperten dies nicht unter einem ideologischen Banner stattfindet. Die Aufstände in Tunesien, in Ägypten, im Jemen oder auch in Jordanien sind bunt durchmischt und schicht- wie auch glaubensübergreifend von einer Unzufriedenheit mit dem Hier und Jetzt geprägt.

copyrights: Operation Egypt

Jahrelange Unterdrückung, Arbeits-und Perspektivlosigkeit, Hunger, Verfolgung, Folter und Korruption sind die Ursache. Was bisher nur anonym in Foren oder hinter vorgehaltener Hand geäußert werden konnte, manifestert sich jetzt in einem gigantischen Wutausbruch. Der Wille zur Veränderung siegt über die Angst vor Repressalien. Nicht länger Zeuge sein, sondern das Geschehen in die Hand nehmen. Die Angst des Westens, dass nun islamistische Kräfte das Ruder an sich reißen könnten, zeugt von der Fehleinschätzung der Ausgangslage der Menschen. Vorhergehende Protestwellen in der Region wurden insbesondere durch westliche Medien nicht als signifikant wahrgenommen oder unzureichend reflektiert, das Potential der „arabischen Straße“ weithin unterschätzt.

Doch was hat diese enorme Geschwindigkeit des Umsturzes ermöglicht? Eine Schlüsselrolle kommt sicherlich der Vernetzung der Menschen in diesen Ländern zu. Mobilfunk, Soziale Medien und Netzwerke, Internetforen, manchmal auch nur der bloße Zugang zu ausländischen Informationsquellen prägt das Bewusstsein der jungen Generation in den Ländern der MENA. Die Kinder des wachsenden Mittelstandes, gebildet und gut informiert sind längst digital natives. Sie sind die Hauptakteure. Der Anspruch an das eigene Leben, die eigene Erfüllung, individuelles Bewusstsein im Austausch mit anderen in Echtzeit: Die Internetcafes in den Straßen Kairos, Sanaas oder Tunis liefern die Flatrate zur Freiheit. Die Geschwindigkeit der Medien ist auch die Grundlage für eine direkte Berichterstattung. Einfachen Menschen kommt durch das Bloggen die Rolle von Journalisten und Meinungsführern zu. Sie prägen das neue Bild ihrer Region, sie sind die neuen Kommunikatoren, die Stimmen ihrer Völker. Ziviler Ungehorsam via Twitter  prägt die Kommunikationskultur.Ob nun #jasminrevolt, #sidibouzid revolt, #tunisia revolt oder auch #jan25- es ist definitiv eine Social Media Revolution.

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Doch noch etwas ist charakteristisch für die Proteste: Mut und Zivilcourage. Ob nun die Nachbarschaftswachen in Tunis, die Plünderungen und Gewaltaten verhindern oder die vielen Freiwilligen, die das Ägyptische Kunstmuseum in Kairo nach den Protesten wiederherrichten. Die Menschen organisieren sich ohne eine zentrale Staatsmacht. Und es klappt ganz hervorragend.  Ein Bewusstsein für bürgerliche Werte und Zivilcourage zeigt sich an allen Ecken und Enden. Ohne dieses Selbstverständnis, ohne diesen Sieg der Vernunft über den Hass wären die revolutionären Umstürze wohl kaum möglich gewesen. So versuchte beispielsweise ein Sprecher der NDP, der regierenden Partei Mubaraks, auf Al-Jazeera international die Proteste vor laufenden Kameras zu marginalisieren und als Gewalttat von Banden und Plünderern abzutun. Gleichzeitig waren die Bilder von den friedlichen Protesten am Midan Tahrir in Kairos Innenstadt zu sehen-ein Widerspruch, auf den ihn auch die Moderatorin hinwies und ihm kurzerhand das Wort entriss. Dieser Umgang mit politischen Meinungsführern, die geprägt von der Arroganz der Machthabenden bisher ihre Geschichten medial verkauft haben ist es, der die neue Tonalität in der Berichterstattung ausmacht. Der erste Schritt zur Freiheit ist getan. Die Menschen in der Region müssen nun weiter kämpfen für den Erhalt ihrer Meinungsfreiheit. Und sie müssen umdenken. Genauso wie wir. Die Revolution hat begonnen . Und sie ist mehr als digital. Sie ist umfassend zeitgemäß.